ÜBERALL KÜNSTLER, NIRGENDWO KUNST

Ein Genre schafft sich ab.

Bericht aus einer Akademie.
Klausjürgen Wussow war der, mittlerweile verstorbene, Darsteller des legendären Prof. Dr. Brinkmann in der erfolgreichen Fernsehserie „Die Schwarzwaldklinik“. 80er Jahre. In der Serie meistert der begnadete Chirurg unzählige Operationen, privat verwechselt man ihn häufig auf der Straße mit seiner Rolle und bittet ihn um medizinischen Rat in eigener Sache…
Was wäre, wenn ihm dies zu Kopfe stiege und er eines Tages meint, aufgrund seiner Fernseherfahrung in einer realen Klinik einen chirurgischen Eingriff durchführen zu müssen? Die Abläufe kennt er soweit… („Skalpell, Tupfer, Schere…“ etc.)
Kann ja dann auch nicht sooo schwer sein.
Mit wem würde er wohl in seinem Rettungsfuror beginnen?
Mit seiner herzkranken Mutter?
Eher unwahrscheinlich. Ein Funken Selbstzweifel wäre vermutlich vorhanden. Ein Patient muss her!
Ah, da sitzt doch ein obdachloser Alkoholiker und dort ein syrischer Flüchtling, ein Kind aus dem Kosovo… irgendwas Traumatisiertes…
jedenfalls bedürftig und am unteren Rand der gesellschaftlichen Skala. Hier tut nun unser Künstler als Operateur ein gutes Werk und wenns schiefgeht…kann ja passieren… deckt den Rest der grüne Rasen, ohne daß ein Hahn groß danach kräht. Man kannte den armen, kranken Teufel ja kaum. Was zählt, ist der Einsatz unseres Menschenfreundes Klaus.
Klingt zynisch und absurd?

Ist aber gängige Praxis im kreativen Sektor, mit zahlreichen staatlichen und akademischen  Programmen gefördert.

Künstler können Phänomene beobachten und in Bilder, fast so etwas wie Stilleben einfangen.
Ich bin keine Statistikerin und laufe durch eine politische Welt wie durch einen fremden Wald, bemerke aber, wenn es plötzlich nur noch Kiefern und Fichten gibt, und kaum noch Buchen oder Eschen.

Und damit sind wir bei einem Problem, das sich mir immer deutlicher zeigt in der künstlerischen Ausbildung und professionellen Praxis:

Ein seit den 1960er Jahren „Erweiterter Kunstbegriff“, der die Kunst enger an gesellschaftliche und politische Praxis heranführen soll und Performance, die das Kunstwerk vom Sockel, damit vom auratisch umglänzten Geniestreich in den profanen Körper des Künstlers und seine alltägliche Existenz holen, haben zunächst das Spielfeld künstlerischer Betätigung wesentlich ergänzt.
Und ich als DDR-Insassin habe darin geradezu ein Überlebensmittel gefunden, das es mir möglich machte, den indoktrinierten Quatsch von der besseren Gesellschaftsordnung und ihrem siegreichen Feldzug zugunsten der Massen zu ertragen.

Mit der Entgrenzung der Kunst und der Aufweichung der Begrifflichkeiten werden die Künste allerdings mehr und mehr unterwandert und lassen sich willfährig plündern, was ihre eigenen qualitativen Kriterien anlangt. Das Kunststudium erscheint vielen verlockend, um ihre persönliche Freiheit zum Ausdruck zu bringen. Viele, viele drängen in die Akademien… mit hohem individuellen Bedürfnis und großen Ambitionen. Die Zahlen der Aufzunehmenden sind hoch und vorgegeben und nur mit einer bestimmten Anzahl von Studenten lässt sich die Finanzierung einer Hochschule auch längerfristig sichern. So ist klar, daß mit jedem Studenten eine Wundertüte auf die Künstlerlaufbahn geschickt wird, von der man nicht wissen kann, wie sie sich entwickelt. Klar ist nur, daß nicht aus allen guggenheimtaugliche Künstler werden. Für alle hat man allerdings als Professor Verantwortung.
Ich halte ja das Künstlersein grundsätzlich für eine Persönlichkeitsstruktur, die rar gesät ist. Und das ist auch gut so, weil die Kollateralschäden, die solche Ausnahmewesen mit sich bringen, im gesellschaftlichen Alltag in größerer Zahl mehr Chaos anrichten würden als Gutes.
Ich habe es in einem anderen Text geschrieben:
Künstler wird man nicht. Man ist es. Und wenn man ein Kunststudium hinter sich hat, ist man entweder kaputt und völlig desillusioniert oder ein besserer Künstler.
KunstSTUDENTEN hingegen sind Leute, die ihre Phantasielosigkeit meinen, öffentlich machen zu müssen.
So.
Und da sind wir am Punkt und beim Ausgangsbeispiel…
Es gibt Chefstrategen und Selbstdarsteller, die einen im Moment besonders guten Ausgangspunkt finden:
Die PARTIZIPATIONSKÜNSTLER!
Stellen Sie sich vor… Sie sind Student oder Absolvent einer Kunsthochschule. Ihnen fällt aber erstens künstlerisch nichts ein, zweitens haben Sie niemals gelernt, auch an der Hochschule nicht, daß Kunst mit realer Arbeit und einem mühevollen Prozess ständigen Scheiterns zutun hat und ebenfalls mit dem Aushalten und Ausformulieren einer Außenseiterposition.
Was machen sie?
Sie stellen einen Antrag.
Und wofür?
Dafür, was gerade rauf und runter gefördert wird. Das wechselt alle paar Jahre. Aber aus meiner vielfachen Jurytätigkeit weiß ich: Viele Künstler verhalten sich individuell bis zur Ununterscheidbarkeit und damit gern wie eine Kuhherde.
Und:
Sie rennen dahin, wo der Fressnapf steht. Verständlich.
Seit längerem:
Partizipativ muss dran stehen, gern transformatorisch… auf jeden Fall Labor, besser Lab!
Künstlerische Forschung, interdisziplinär und international…
Alle sind an allem beteiligt und haben allein qua Kunststudium die Deutungshoheit über eine bessere Welt.
Haben natürlich immer zu wenig Geld und tausend in umfangreichen Wortgirlanden, Symposien und Podiumsdiskussionen, Broschüren und Projekten zu beantragende Ideen…
Vor allem ist alles gerade dolle GRÜN!
Sozial muss es sein. Aufrütteln.
Mal aufgefallen, daß an jeder Brausepulle, jeder Wegwerfwindel und Brötchentüte mittlerweile das Label GRÜN pappt und was SOZIALES?
Auf, auf! Auf die nächste documenta damit!
Künstler: Jetzt ganz ohne Kunst! Also ohne lästige Nebenwirkungen! Belastet weder Körper noch Geist.
Vor allem aber:
ist das, was da angestellt wird…
vollständig folgenlos für die herausgezerrten Bedürftigen.
Flüchtlinge, Behinderte, Unterpriviligierte… welcher Färbung auch immer.
Die Regie behält der Künstler, besser: die Künstlerin!
Sie hat den Antrag gestellt, die zu beglückenden Statisten gewählt und macht Krawall oder so etwas wie den „Markt der Möglichkeiten“, also eine Art profanen Kirchentag.

Und abends liegen die Kekskrümel auf den Tellern und Bananenschalen im Müll, die Flaschen mit dem stillen Wasser sind abgeräumt und die Kannen für den koffeinfreien Kaffee gespült…
Dann kann man mal gucken, was an gemeinsamen Strukturen übrigbleibt. Künstler und Künstlerin fahren nachhause. Die jeweilige Randgruppe auch. Natürlich bedanken die sich. Ich habe mich auch für die ausgeleierten verschissenen Feinrippunterhosen im Weihnachtswestpaket aus Niederbayern bedankt… „Elisabeth, nun schreib doch mal ne Postkarte…“

Ich habe nichts dagegen, daß es Projekte dieser Art gibt. Und sicherlich muss man auch genau unterscheiden. Meine Erfahrung sagt aber, daß diejenigen, bei denen sich die Förderlogos lesen so bunt wie auf dem Trikot eines Formel-eins-Weltmeisters, die Mitarbeiter und Zuarbeiter und auch die Betroffenen von steil hierarchischer Höhe herumkommandieren. Das widerspricht dem sozialen Ansatz sehr.

Diese „Projekte“ zeigen sich mir als eine Form von mentalem Ablasshandel einer privilegierten akademischen Elite. Wohlfeile Aufregung. Nichts ist einfacher als junge Leute zu finden, die sich über die Ungerechtigkeit der Welt aufregen, diese zu instrumentalisieren und die Arbeit machen zu lassen und dann mit allen Unfähigkeiten zusätzlich zu verheizen.
Was wird aus diesen Künstlern?
Es gab an einer Kunsthochschule den Impulsvortrag: Wie fülle ich einen Hartz-4 Antrag aus.

Wenn für die Bodenreinigung der Aula eine Spezialfirma geordert wird… aber auf traumatisierte syrische Flüchtlinge Kunststudenten angesetzt werden, kann man das für eine besonders kreative Idee halten (im Sinne von Professor Doktor Brinkmann) oder für bösartig.
Wenn auf künstlerische Kriterien befragt, gibt man sich sozial und wohltätig.
Wenn nach sozialen Kriterien, ist es Kunst.
Und eigentlich ist es Mogelei.

Keine neue Methode.
Immer wieder haben die Privilegierten einer Gesellschaft sich mittels verlogener symbolischer „Maßnahmen“ wohltätig gegeben, um schlimmeres zu verhindern.
In diesem Fall sind es halt die akademischen Künstler.
Es ist Verrat an der Kunst, an den Studenten, an den Bedürftigen…

Es fällt im Übrigen nicht schwer, den Artisten in der Zirkuskuppel des internationalen Kunstmarktes ähnlich die Leviten zu lesen. Hier aber bin ich in der Polit-Arena, Ku-Po, wie das Fach Kulturpolitik mit aller ideologischen Verstrahltheit in Dresden, wo ich studierte in den 80ern hieß.

Kurz und knapp:
Als Künstlerin mache ich Kunst.
Keine Politik.
Kunst ist ein Nischenprodukt und wird es auch bleiben, wenn man es nicht, wie im Osten damals und als Wiedergänger in einer bestimmten akademischen Szene mit Agitation und Propaganda verwechselt.
Kunst darf auch politisch provozieren und nerven.
Die Künstler müssen sich ihre Bühnen selbst bauen. Das kann man mit den Studenten erproben.
Dazu gibt es Akademien.
Mit absehbar folgenlosen gebetsmühlenartigen Forderungskatalogen kommt man nicht weiter.
Vor allem müssen sich Kunst und die Künstler wieder erwachsen verhalten.
Kunst sollte das Gegenteil sein von Verlogenheit. Vor allem aber die Grenzen der eigenen Wirksamkeit erkennen, statt sich überall als Hilfsklempner zum Kasper zu machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit…
© Else Gabriel, 2015
anlässlich der
5. KULTURPOLITISCHE JAHRESTAGUNG DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG
„Veränderung ist das Salz des Vergnügens“
Kunst und Kultur im Prozess gesellschaftlichen Wandels
am 24. und 25. April 2015

6 Kommentare zu „ÜBERALL KÜNSTLER, NIRGENDWO KUNST

  1. Hervorragend! Das müßte den vielen Kunststudenten immer wieder klar gemacht werden. So oder ähnlich, oft erlebt. Unbekannte Künstlerin, die sich künstl. main-stream entzieht .

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