(Beitrag für die Publikation der Jahrestagung des Bundesverbandes der Hochschulgalerien in Saarbrücken 2016, erschienen an der HBK Saar 2017)
Plot.Point.Praxis.
Künstlerausbildung
und das Modell einer Hochschulgalerie als Höhentraining und Wurzelkanalbohrung
(12 Minuten Lesezeit)
Eine Kunsthochschule IST…
ein bemerkenswerter Ort.
Als Bildungsstätte, die das von ihr angestrebte Ergebnis – Kunst und Künstler – ständig neu schafft und definiert, wenn es denn gelingt, genügend Menschen davon zu überzeugen, daß es sich bei Objekt und Subjekt – Kunst und Künstler um ebensolche handelt.
Natürlich ist das Bild von jungen Menschen, die ernsten Gesichts, mit schwarzen Klamotten, zweifelhaften Frisuren und riesigen Mappen unter dem Arm vom Zeichenkurs zur Kunstgeschichtsvorlesung eilen und von dort ins Atelier, um neben heißen Diskussionen bei Rotwein und selbstgedrehten Zigaretten im Dunst des Terpentins mit der Leinwand zu kämpfen… ein Klischee.
Noch immer aber bringen hoffnungsvolle Bewerber als überlebensgroßen Beweis ihrer Hoffnung die lenkdrachenartigen Mappen in die „Eignungsprüfung“. Darin enthalten oft rührende Momente entgleister alter Meister und aufrüttelnde Appelle in Aquarell. Diese weichen spätestens im Studium PDF-Portfolios auf Laptops in vollgekramten Rucksäcken, wo neben fiependen Handys, Hygieneartikeln und veganem Brotaufstrich auch bequem Hamster nisten könnten. Zeichenkurse weichen dem Erfühlen des Materials (Kohle, z.B.)… im Steinbildhauerlehrgang bilden die Klienten einen Kreis und über Steine wird… geredet. Wie man sich so fühlt: als Mensch (alle gleich und gleichzeitig doll unterschiedlich), als Stein (kalt, warm, alt) und als lebender Stein (Professor*in). Man filzt in den Filzwochen und schaukelt im Bambus mit Bambusschaukelbauanleitung, baut Schnittlauch an in alten Turnschuhen und Dosentelefone für alle Menschen, die willkommen sind.
Die Kunsthochschule – ein Terminal ausschließlich mit Arrivals. Departure durch die Hintertür und durch Weiterreichen. Mithin ziemlich unverbindlich. Dazwischen aber: Besuchen Sie unsere (Work-)Shops. Gibt überall das gleiche wie überall. Und dann und wann: ein Sombrero.
Das ist die neue Heimat.
Das ist stark…
pauschalisiert und voller Klischees.
Stimmt.
Klischees sind schlicht aber hilfreich, weil sie neben bedenklichen Vorurteilen eben auch Bilder sind, die Beobachtung spiegeln, Schnittmengen. Und daß in der Kunst, wie in der Lehre die eigene Beobachtung und Erfahrung die zentralen Elemente sind, die zu einem eigenständigen künstlerischen Werk führen (können), ist – halten zu Gnaden – unverhandelbarer Bestandteil dessen, was ich unter individuellem Ausdruck verstehe. Dazu gehört auch die Unbequemlichkeit, auf die Gefahren hinzuweisen, die in der Verbequemlichung liegen, wenn mehr und mehr (politische) Ersatzhandlungen als Kunst umetikettiert werden und dadurch eine moralische Unantastbarkeit generieren. Durch diesen Twist wird es quasi unmöglich, die entstehenden Werke noch unter künstlerischen Kriterien zu diskutieren. Denn würde man wagen künstlerisch zu kritisieren, machte man sich sofort moralisch verdächtig. …
Damit aber wird ein zentrales Element in der Künstlerausbildung sukzessive ausgehebelt: das der einzig der eigenen Betrachtung folgenden und nicht immer angenehmen Genauigkeit in der Diskussion über Kunstwerke. Kunst und Moral vernebeln zu einem indifferenten WIR-Gefühl, das in Wirklichkeit so homogen gar nicht ist. Die Grabenkämpfe verlaufen dann aber im wesentlichen unter dem Radar, und führen so noch weiter weg von einer offenen Diskussion über künstlerische Qualitäten. Und: dieser formalisierte Diskurs funktioniert nur in einem bestimmten Binnensegment und innerhalb einer bestimmten akademisch aufgeheizten Klientel. Damit geraten Studenten, die sich auf diese verführerische Empörungskultur und die unendliche Neudefinition von Verhaltens- und Redenormen einlassen, zunehmend in Abhängigkeiten und sind im Anschluss an ihr Studium darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt auch in diesem Sektor zu verdienen, weil sie außerhalb dessen mit dem, was sie da getrieben und gelernt haben, wenig anfangen können. Und so führen diese Übungen in intellektueller Hofetikette direkt in die prekären Ausbeutungsverhältnisse, die man behauptet zu bekämpfen. Dieses aber nur als Randbemerkung…
Was insgesamt und im Kern verloren geht, ist die Ernsthaftigkeit der Kunst, die zunächst und in der Tiefe ein einsames Unterfangen ist. Und die dann, wenn sie an die Öffentlichkeit geht, etwas Interessanteres zu bieten haben sollte als einen Anlass, bei Häppchen und Vernissagenwein zu vermeiden, die ausgestellten Gehänge und Gestänge umzureißen im Gespräch rund um die eigene Interessenverfolgung.
Vielleicht ist das alles vor allem eine „Berliner Wucherung“, wo noch mehr als anderswo geredet wird, getagt und gefordert: für alle Künstler und die Notleidenden dieser Welt – und ganz nebenbei für sich selbst. Spürbar ist diese Tendenz jedoch überall.
Das Kunststudium ist …
grundsätzlich ein Freiraum von hohem Wert, den man immer neu verteidigen muss gegen Begriffsverwirrung und die Hütchenspielerei, alles was tagesaktuellen Thrill verspricht und finanzielle Zuwendung zur Kunst umzulabeln, bis die eigentümliche fragile individuelle Kunst nicht mehr auffindbar ist.
Das Paradoxon besteht schon ohne diese Aushöhlung von innen in der Lehre des Unlehrbaren, der Umschreibung des schwer Beschreiblichen, der Förderung von eigensinnigen Ideen, von denen wir heute noch nicht wissen, ob sie in der künstlerischen Karriere zeitlos Wertvolles hervorbringen – oder auch nicht.
Ich gehe davon aus, daß man an einer Kunsthochschule von bestandener Eignungsprüfung bis zum Abschluss und in die freie Praxis als Künstler die Verantwortung hat für ALLE, die dort immatrikuliert sind, bzw. frisch aus ihr hervorgehen. Wie gesagt: im Studium sollte immer wieder darüber geredet werden und verhandelt, was die einzelnen Positionen zum Kunstdiskurs beizutragen haben und wie man Vokabeln findet, die diese Betrachtungen möglichst genau wiedergeben. Dieses deutlich und ohne Denk- und Sprechverbote. Dazu gehört aber auch die Vermeidung, nach außerkünstlerischen Maßstäben zu werten und zu fördern. Als Voraussetzung dafür wiederum müssen Formate geschaffen werden, die es ermöglichen, die unterschiedlich motivierten künstlerischen und außerkünstlerischen Interessen zu erkennen und die Freiheit eingeräumt, dies klar und offen zu benennen. Es geht um die Diskussion und Verhandlung darüber, was für eine Vielfalt künstlerischer Karrieren möglich ist und diese auf Risiken und Nebenwirkungen hin abzuklopfen.
Am heiklen Punkt…
des Übergangs vom Studium in die Praxis setzte die Grundüberlegung an von Thaddäus Hüppi und mir, wie man den Gedanken einer Hochschulgalerie in ein multiples Werkzeug übersetzen kann, das eine Schnittstelle ermöglicht zwischen dem geschützten Raum der Hochschule und der freien Wildbahn als freiberuflicher Künstler.
Betrachten wir eine Kunsthochschule und die dortigen Künstler unter der Gaußschen Glocke, der von Carl Friedrich Gauß entwickelten statistischen Berechnung der Normalverteilung, ergibt sich grob folgendes Bild:
Wir haben wenige Eleven, die künstlerisch vollkommen vernagelt und unbegabt angenommen werden.
Wir haben viele, die recht ordentlich talentiert sind.
Wir haben wenige, die tatsächliche Hochbegabungen sind.
Und: Schon bei der Unterscheidung der einen von den anderen können die Einschätzungen sehr weit auseinander gehen.
Und: All das sagt auch noch überhaupt nichts aus darüber, wessen Karriere in einem finanziellen und/oder aufmerksamkeitsökonomischen Sinne später die erfolgreichste wird. Im Laufe des Studiums zunehmend und danach zwingend werden neben der künstlerischen auch andere Begabungen notwendig: Netzwerken, Anträge stellen, Trends erspüren, Geld verdienen. Verhandlungsgeschick, Rhetorik, aber auch die charakterlich folgenschwere Entscheidung für Angepasstheit an eine bestimmte Szene und einen bestehenden Diskurs oder echte versus kalkuliert gespielte Rebellion dagegen. Was auch immer. Auch Umorientierung. Geschäftsgründungen, Neuformatierungen…
Kernidee von Thadäus Hüppi und mir war und ist, die Beleuchtung des blinden Flecks, wenn die Künstler die Hochschule verlassen, aufzunehmen als integralen Bestandteil künstlerischer Lehre. Und dies ohne Leugnung der oben aufgeführten komplexen Ausgangslage.
Denn:
Warum hört und sieht man nach dem Studium von wenigen viel?
Warum hört und sieht man nach dem Studium von einigen sporadisch und wenig?
Und warum hört und sieht man nach dem Studium von viel zu vielen gar nichts mehr?
Hier verformt sich die Gaußsche Glocke und irgendwas ist schief gelaufen.
Unser Modell…,
mit dem wir die KUNSTHALLE am Hamburger Platz ermöglichten, gründeten und von 2011 – 2016 betrieben haben, nimmt die Idee einer Hochschulgalerie als Ausgangspunkt und bringt sie unter dem Stichwort Plot.Point.Praxis in einen erweiterten Rahmen.
Der Plot Point ist ein Begriff aus der Drehbuchlehre, der eine überraschende Wendung in Erzählung und Handlung markiert. Die Parallele zur künstlerischen und gestalterischen Biografie ist nahe liegend: Der Übergang von der Ausbildung in die oft freiberufliche und höchst individuell gestaltete Praxis ist immer mit Überraschungen und Unvorhersehbarkeiten verbunden, die in prägender Hinsicht Einfluss nehmen auf den jeweiligen beruflichen Werdegang.
Unser Modell beinhaltet eine Vorbereitung auf solche „Wendepunkte“.
Dabei geht es darum, eine Hochschule nach außen zu öffnen, hinein in die verschiedenen Künstlerszenen, quer durch die Generationen und Nationalitäten.
Es geht darum, eine Selbstverständlichkeit im Umgang zu ermöglichen zwischen Studenten, Absolventen, internationalen Künstlern und auch Laien, um die Diskussion um die Werke und Lebensentwürfe unter praktischen Produktions- und Präsentationsbedingungen zu vereinfachen und auch die Vielfalt möglicher Berufswege in den Blick zu rücken.
Dabei spielt die Rückbindung von Alumni natürlich eine zentrale Rolle, die durch Erfahrungsberichte und Einbeziehung in Ausstellungsformate zurückspiegeln, wie viel Nutzen sie aus dem Studium ziehen konnten. Wenn Professoren dafür empfänglich sind, können sie so ein Echtzeit-Evaluationsinstrument aufbauen, das es ermöglicht, die Sinnhaftigkeit von Lehre zu überprüfen. Voraussetzung dafür ist allerdings die Bereitschaft, Projekte real mit umzusetzen, statt diesen Teil als selbstverständliche Dienstleistung an den Idealismus der Studenten und die meist unterbesetzten Galeriebetreiber zu outsourcen, um dann mögliche Mängel dorthin abschieben zu können.
Auch in diesem Sinne, war und ist uns wichtig, Kooperationen zwischen den Hochschulen – und nun auch den Hochschulgalerien – in einer zirkulierenden Weise zu ermöglichen, diese also nicht nur in löblichen Einzelprojekten immer wieder neu zu erfinden, sondern einen konstanten und zunehmend stabilen Austausch herzustellen.
Die Ausstellungen, Veranstaltungen, Diskussionen, die wir umgesetzt haben und umsetzen – unter welchem Einzellabel auch immer, entstehen als „Work in Progress“. Viele der Formate entspringen einem initialen Nukleus, der zunächst wie ein Testballon z.B. innerhalb eines Vorgängerformats eingespeist wird, um eine weitere Präzisierung zu erfahren und dann als eigenständiges Projekt weitergeführt zu werden.
Es war und ist wichtig, das angesprochene Publikum und die Zusammenarbeit nicht nur im akademischen Kunstsektor und Kunstbetrieb allgemein zu suchen und zu finden, sondern dann und wann das jeweilige direkte Umfeld mit einzubeziehen – unprätentiös, unakademisch, unkompliziert. Hochschulen haben oft mit dem Argwohn der Anwohner in ihrer Nähe zutun. Die beste Methode um eine Identifikation mit den künstlerischen „Exoten“ zu finden, ist die punktuelle Einbeziehung und direkte Ansprache. Für Studenten ist es im übrigen eine nützliche Übung, in der Beschreibung und Erklärung ihrer Werke und Beantwortung von Fragen Worte zu finden, die auch Leute verstehen, die nicht mit dem Kunstdiskurs vertraut sind. Die Stichworte Selbstorganisation und Wertsteigerung sind der Schlüssel für eine Professionalisierung in einem bodenständigen und kunstbezogenen Sinne.
Es gibt mittlerweile…
sehr viele Professionalisierungs- und Beratungsangebote für Künstler. Das Problem dabei ist nicht der Gedanke der Unterstützung bei der Bewätigung der Anforderungen von Freiberuflichkeit, sondern es sind die Berater und Coaches selbst. Entweder haben sie eine theoretische Mission, die zur Folge hat, daß ihnen nicht nur die Praxisnähe fehlt, sondern es eher um subkutane Impfungen weltanschaulicher Natur geht, statt um eine bedürfnisorientierte Beratung. Oder es handelt sich um Künstler, die mit dem Coaching Geld verdienen müssen, und sich so die Frage stellt, ob sie nicht eher selbst ein Fall für eine Beratung wären. Die Formate von Thaddäus Hüppi und/oder mir waren und sind für Studenten und Absolventen immer gekoppelt an Beratung im realen Einsatz. Wie spielerisch und unakademisch das alles daherkommt… im Kern geht es um die Wurst – egal ob es sich um Planung, Logistik, Aufbau, Eröffnungsorganisation, Diskussionsleitung oder Verkaufsgespräche handelt. Alles dieses wurde/wird durch learning by doing umgesetzt unter Beratung durch Professoren und etablierte teilnehmende Künstler.
Der Grundsatz…
der KUNSTHALLE war und des von Thaddäus Hüppi im Aufbau befindlichen mobilen Folgesystems PORTI+ ist es, kunstinduziertes Eigenblutdoping zu ermöglichen in der Verzahnung von Hochschulausbildung und freier Praxis auf der gesamten Skala künstlerischer Produktion und Lebenswelten.
Höhentraining und Wurzelkanalbohrung.
else (Twin) Gabriel, 2016/17
Die KUNSTHALLE am Hamburger Platz war eine Initiative von Thaddäus Hüppi, Else Gabriel und (2010/11) Wolfgang Krause, gekoppelt an die weißensee kunsthochschule berlin.
Die Gründung der KUNSTHALLE am Hamburger Platz in Weißensee war das Ergebnis vieler Unterstützer und Mitarbeiter.
Nach den Ende 2015 auf Basis des Programms von Gabriel und Hüppi nochmalig zur Weiterführung bis 2020 bewilligten 1.2 Mio Euro durch das Bund-Länder-Programm „Qualitätspakt Lehre“, bestimmten die Fachgebietssprecher_innen und der akademische Senat unter Leitung von Rektorin Leonie Baumann 2016 für die KUNSTHALLE am Hamburger Platz eine neue Leitung.
Die Verträge des gesamten Teams KUNSTHALLE wurden nicht verlängert.