FLU:
VIRUS, WERK und AXTEREIGNIS
soziobiologische Betrachtungen und „Ewige Wiederkunft“ der Strategien und Methoden in Kunst und Bildung im Wandel der Zeiten und Systeme
+ Ausblick ins ÄTHERMUSEUM
(mit Lichtbildern!)
(anlässlich des Symposiums zur Ausstellung „Gegenstimmen – Kunst in der DDR 1976-1989“, Martin-Gropius-Bau, 21./22.09.2016)
Bilder:
Schneepferd
Selbst als Runder Tisch
Jogging Muslima
21st Century Überfrau
Kind als Pinsel
Hirse
Schweinerüssel
Schablonen
etc.
Stichworte:
Flu
Fluch
Flucht
Fluxus
Luxus
Flux
FLU 1
Ich bin auf einem Staatsgelände geboren und aufgewachsen, das, bis ich 27 Jahre alt war, DDR hieß und als solches unter sowjetischer Besatzung betrieben wurde. Die Besatzer allerdings waren quasi unsichtbar. Es gab einige lamettabehangene Offiziere, die an hohen Feiertagen auf Tribünen gestellt wurden. Der gemeine Sowjetsoldat war sorgfätig vor der DDR-Bevölkerung versteckt in riesigen Kasernenanlagen. Die Manschaftstärke der stationierten Muschkoten konnte nur erahnen, wer das Pech hatte mit dem Auto in einen der schier endlosen Truppentransporte zu geraten. Da hing man dann aussichtslos und winzig in einer Pappschachtel zwischen Schlammbollen auf Straße und Windschutzscheibe schleudernden ratternden LKW und Schützenpanzerwagen und unwillkürlich tobte im Hinterkopf die Panzerschlacht am Kursker Bogen…
Die DDR war der Wurmfortsatz einer Teilung nach dem zweiten Weltkrieg. Meine Geburt ist unter anderem dem Bau der Mauer zu verdanken – eine Geschichte, die ich andernorts vertiefen werde. Was daran Fluch ist oder Segen… ??
Ich empfand es spätestens seit dem Besuch der ersten Schule als Fluch. Vorher starb meine Schwester schwerstbehindert an den Folgen einer Grippe…
FLU 2
Die Geschwister meines Vaters lebten schon bald nach dem Krieg im Westen, bzw. mit wechselnden Geschäften, Professuren, Posten in Nord- und Südamerika. Es war die Strafe der Teilung vor dem Hintergrund der deutschen Verbrechen und die Höchststrafe, als einziger Zweig in Fortsetzung des pastoralen Familienerbes im Osten leben zu müssen. Dies konnte ich durch die Erzählungen aus 4 Jahren Kriegsgefangenschaft meines Vaters in Astrachan am Kaspischen Meer rational verstehen. In meiner Sehnsucht nach etwas anderem als Diktatur, konnte ich mich damit jedoch nicht abfinden.
Im Alter von 12 Jahren erklärte ich meinen Eltern, daß ich gedenke auszureisen.
Es sollte noch dauern.
FLUCH
Schule
In jeder Schule ist man ausgeliefert.
Ausgeliefertsein ist Scheiße.
Weil es aber wichtig ist zu wissen, daß auch Scheiße eine Funktion erfüllt, muss man sich der Tatsache stellen, daß es Schulen gibt.
Wegen meiner behinderten Schwester wuchs meine Prägung im Vorschulalter nicht mit Gleichaltrigen im Kindergarten, sondern in einem Altersheim. Ich wurde dort geparkt, wenn es meiner Schwester schlecht ging. Es ging ihr oft sehr schlecht.
So kam es, daß meine Spielgefährten bis zum Schuleintritt zwischen 74 und 104 Jahre alt waren. Ich überlasse es der Phantasie der Hörer/Leser, sich auszumalen, was für Geschichten sich da aus den Tiefen von Raum und Zeit in mich hineinschlichen. Es waren die Biografien von Menschen, die zwei Weltkriege und zwei Diktaturen zu verarbeiten hatten. Mit allen Gräueln, Kämpfen und existentiellen Brüchen.
Ich fand all dieses höchst spannend und genoss so früh eine sehr handfeste, universelle und überlebenskluge Bildung.
Dann aber kam DIE SCHULE!
Realsozialistische Schule war für mich ab Tag zwei vollendete Verschwendung von Lebenszeit.
Schule bleibt bis heute für mich – der Inbegriff verschwendeter Lebenszeit.
Ich lernte wenig, außer mich zu weigern.
Ich lernte sehr gut, aus dem Fenster zu gucken. Irgendwo dahinten war Salzgitter.
Hinter einer unsichtbaren Mauer. Unerreichbar.
Salz klingt gut…
Gitter nicht.
Ich machte in der DDR Abitur.
Ich absolvierte eine gute und bis heute hilfreiche Ausbildung als Kirchenmusikerin. (allerdings will niemand mich je an der Orgel erleben… ich kann es nicht.)
Ich wollte Orgelbau lernen. In der DDR nahm man keine Frauen (mein Sohn, 18, am 08.09.2016: was wolltest du mit Orgelbau, da schleppst du doch nur Pfeifen rum… Ich meinte: Linus, dich hab ich auch 9 Monate rumgeschleppt!)
Schließlich studierte ich Bühnen- und Kostümbild in Dresden.
Das Studium begann als große Befreiung. Es begann mit Günther Hornig. Günther Hornig, ein Ausnahmekünstler, dessen Werk solitär steht in der DDR-Kunstlandschaft und längst internationale Beachtung verdient, betreute damals als Lehrer im Hochschuldienst das Grundlagenstudium im Fachbereich Bühnenbild der HfBK Dresden, war mit anderen Worten auf der untersten Stufe der akademischen Leiter und zudem nicht bei den Malern, den sogenannten „freien“ Künstlern, sondern bei den ohnehin als Dienstleister und Theaterbetriebsnudeln mäßig beachteten Bühnenbildnern ruhig und kalt gestellt. Trotz dessen (oder eher eben deshalb?) hat er uns mit seiner künstlerischen Unbestechlichkeit und der individuellen Freiheit, die er uns erlaubte, das wohl beste Rüstzeug zum freien Künstler mitgegeben, das in der DDR möglich war. Seine Übungen und die individuellen Zuwendungen gingen an die äußersten Grenzen der Nicht-Kollektivierbarkeit, machten damit die AUTO-PERFORATIONS-ARTISTEN erst möglich und die weitere Laufbahn als Einzelkünstler auch unter Westbedingungen…
Den wesentlich besser gestellten Professoren konnte ich in ihrem Lavieren und in ihrer Angepasstheit nicht viel mehr als Verachtung entgegen bringen. Der Zugehörigkeitskotau bei gleichzeitig pseudoelitärem Auftritt als Künstler machte mir schon damals wenig Eindruck. An dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert. Professoren sind ja nicht qua Titel wertvollere Menschen und schon gar keine besseren Künstler. Es sind viele Komponenten – von Kalkül bis zur Berufung des vermeintlich „kleinsten Übels“, die hier eine Rolle spielen – mit zum Teil verheerenden Konsequenzen, wenn sich deutsche Professorinnen und Professoren mit ihrem Titel und ihrer Funktion verwechseln.
Mit Micha Brendel, Via Lewandowsky und Rainer Görß wurden jedenfalls in den 1980ern die Auto-Perforations-Artisten gegründet.
Damit haben wir uns neben den akademischen Regularien, die ab dem dritten Semester trotz all unserer Bemühungen um eine freiere Studienauffassung nicht zu knacken waren, ein Sonderstudium etabliert:
Das der Rebellion gegen uns selbst als irrwitziges Spiel, um die einzigen Grenzen zu sprengen, die man uns zu sprengen nicht verbieten konnte…
die unserer eigenen Geistesgaben und Körperlichkeit.
Die Rebellion gegen die Schule bestand von meiner Seite in demonstrativ abgelieferter Langeweile, die ausreichte um gerade so nicht aus dem Raster zu fallen und damit nicht als asozial in die berüchtigten Mühlen von staatlichen „Maßnahmen“ zu geraten.
Ein Mindestmaß an „Dienst nach Vorschrift“ war einerseits notwendig, andererseits auch eine Methode, staatliche Ressourcen zu nutzen und trotzdem ein provozierend unabhängiges Programm umzusetzen. Wie nah uns das an physische Konsequenzen durch den Staatsapparat katapultierte, sollte ich im vollen Ausmaß erst nach dem Zerfall des realen Sozialismus erfahren…
Kurzum:
Wir demonstrierten Liebesentzug gegenüber der Bildungseinrichtung und gegenüber dem allmächtigen Staat und bauten parallel ein System hermetisch erscheinender Bild- und Zeichenwelten, deren Bedeutung und Herkunft meist deutlich profaner waren als sie in der Interpretation von außen – sei es durch wohlmeinende Unterstützer oder durch die nervös aber ohne Handhabe in der Reserve lauernden Staatsakteure.
Die Grundkonstanten der Arbeit waren:
Du kannst nichts und niemandem da draußen trauen.
Frag dich, wenn du in den Spiegel guckst, ob du dir noch selbst trauen kannst.
Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
Die Kunstform der Performance hinter der Tapetentür getarnt als Auto-Perforations-Artistik war selbstbezüglich, besaß ein insistierendes Bohren in Narben und Wunden und wurde doch mit einer gewissen zirzensischen Leichtigkeit ins Unterhaltsame übersetzt.
Die Performance, die das Peinlichste, Unmittelbarste, Kreatürlichste in Echtzeit vorführt und so schnell wieder verschwunden ist wie erschienen, bot mit ihrem Potential zur Legendenbildung eine effiziente Versuchsanordnung. Wir konnten mit Andeutungen arbeiten und abwarten, wie die Beobachter und Betrachter, die Informanten und die Verirrten sich jeweils ihren eigenen Reim machten, auf den wir selbst beim besten Willen nicht kommen konnten. Insofern spiegelten sich hier die Biografien und Erwartungen des Publikums. Wieder in Engführung mit der Frage: Wem kann ich trauen! Bzw. Kann ich meiner Wahrnehmung trauen. Gibt es hinter lauter Decknamen möglicherweise keine Klarnamen mehr, die jenseits der aufgeschwatzten ideologischen Placebos ihrer Beobachtung und ihrem Leben trauten? Wir befanden uns in einer Weltanschauungsmatrix, deren Abgleich mit der Realität zunehmend aus dem Ruder lief.
FLAUSEN und FLUSEN
Es gab nicht nur die Systemteilung an der Nahtschnelle zwischen Ostdeutschland/DDR und Westdeutschland/BRD. Die Teilung verlief auch noch einmal quer durch die eigene Wahrnehmung.
Meine Biografie war und ist bis heute bevölkert mit Menschen, die mir die Deutung meiner Existenz abzunehmen versuchen, die mir meine Beobachtungen zu stehlen versuchen, indem sie Konstruktionen postulierten und postulieren, die offensichtlich aller alltäglichen Erfahrung widersprachen und widersprechen. Die einen sagten und schrieben es zäh und mit scheinbar nie defekten Neonbuchstaben auf Häuser: „Der Sozialismus siegt!“ Erfahrung und Volksmund machten daraus das passendere „Der Sozialismus siecht!“ Ob Plansilvester, also die Verkündung vorzeitig erüllter Jahrespläne – manchmal bereits im August, die Ernteschlacht, oder „Arbeite mit, plane mit, regiere mit“ – alles hohles Triumpfgeheul, in das jeder einstimmte, wissend, daß keiner dieser Pläne oder demokratischen Mitbestimmungsversprechen je erfüllt werden würden…
Dazu gesellten sich widerum Besucher aus dem Westen… vorzugweise aus dem politisch linken Lager, die ihrererseits nicht müde wurden, mir die Vorzüge des Lebens im real existierenden Sozialismus auszumalen. Ob der niedrige Preis der Mieten und Grundnahrungsmittel, die sozialen Versorgungsleistungen, das Fehlen all der Zumutungen durch das kapitalistische Schweinesystem, dem sie täglich die Stirn bieten mussten…
Allerdings machten die Herrschaften durchgehend keinen besonders leidenden Eindruck und verspürten auch nicht die geringste Neigung, im gepriesenen Sozialismus länger als ein paar Tage zu verweilen.
Andere, Freunde, verschwanden auf Nimmerwiedersehen in den Westen, man sah sie dann im Fernsehen und war ganz kribbelig…
manche verschwanden in den Freitod, in zeitweilige Verhaftungen und/oder Verhöre durch „die Organe“. In den Organen pulsierte der volkseigene Körper…
An dessen Ausdünstungen und Rotzfahnen nahmen wir im Studium teil in Gestalt dröger Trockenübungen mit Stückanalysen und Zeichnungen und schnitzten wenn nötig für unsere Modelle auch Biedermeierstuhlbeine aus Streichhölzern.
Klein war sie, die DDR, spießig und schlecht verleimt. Es knirschte und knackte an und in den Stühlen, an die sich die Professoren und Funktionäre klammerten.
Die verdreckten Puppen- und Kinderwagen in den verkeimten Hauseingängen, die vollgeschissenen Klos auf halber Treppe, die merkwürdigen Veränderungen in der eigenen Wohnung, wenn man spät nachhause kam…
In der DDR war Schnüffeln Volksdroge…
Vieles stank einfach gen Himmel und belästigte einen unfreiwillig. Anderes wurde subtil herausoperiert aus den Niederungen der Zwischenmenschlichkeit und in Archiven bewahrt für den Tag X.
Das Sandmännchen kam zuverlässig jeden Abend…
Man wusste nie, wer gerade wem hinterherschnüffelte.
Wahrscheinlich auch…
Das Sandmännchen.
„Lieder, Märchen und Geschichten aus dem Butzemannhaus…“
Es herrschte eine große menschliche und systemische Verwahrlosung, eine unter dem Traumsand vom Neuen Menschen verharmloste Rohheit im Umgang, der wir nur mit Lakonie und Elendsarroganz begegnen konnten und mit einer Schonungslosigkeit gegen uns selbst und mit uns gegenseitig, die uns imprägnierte und abriegelte, in gewisser Weise unantastbar machte gegenüber der Staatsmacht. Dieser Staat, dieses System interessierte uns schlicht nicht. Sollten sie doch schnüffeln…
Als was hat man uns damals wohl gesehen?
1989 schrieb Frank Schumann im August auf der Politikseite der Jungen Welt in einer Abrechnung mit den AUTO-PERFORATIONS-ARTISTEN unter dem Titel „Braucht man für die Kunst Spinat“ unter anderem: „Ich wäre der Letzte, der die innovative Entwicklung unserer Kunst beklagte, und ich bin mir durchaus bewußt, daß schon manche Neuerung, bevor sie allgemein anerkannt und beklatscht wurde, zunächst auf Ablehnung stieß. Dennoch glaube ich, daß es eine Schwelle gibt, hinter der Kunst aufhört Kunst zu sein und nur noch Geschmacklosigkeit ist.
…
Also versuche ich es jetzt hier noch einmal zu sagen: Ich halte dieses „Werk“ von Brendel/Gabriel/Lewandowsky – selbst wenn’s ironisch gemeint ist – für eine Engleisung nicht nur in ästhetischer Hinsicht.
…“
(Herr Schumann veröffentlichte als letztes 2016 seinen innigen Briefwechsel mit der dann bis zu ihrem Tod in Chile lebenden und in ihrer Amtszeit gefürchteten früheren Bildungsministerin, dem „lila Drachen“ Margot Honecker.
FLUCHT
Mit dem Kollaps des real existierenden Sozialismus 1989 setzten Verwerfungen ein, biografische Brüche, kollabierende Karrieren und verzweifelte Rechtfertigungen.
Wild war das. Ungewöhnlich .
Vor allem, weil es mit der DDR unblutig zu Ende ging.
Mein und Vieler biografisches Glück (die Verhaftung im Oktober 89 hätte ganz anders ausgehen können!) erzeugte ein auf lange Sicht folgenschweres Missverständnis.
Nämlich, daß sich Ostdeutsche und Westdeutsche aufgrund gemeinsamer Grammatik zwingend verstünden.
Bezeichnend und merkwürdig absurd waren in den 1990er Jahren TV-Talkshows und Runde Tische, die das gesamte Dilemma unaufhaltsamen Aneinandervorbeiredens öffentlich vorführten. Es wäre ein lohnender Gegenstand aus der Perspektive von heute diese sprachlichen Feinheiten zu analysieren und ihre Folgen herauszupräparieren…
Aber so zog ein Missverständnis immer weiter verschiedene andere nach sich.
Der Hunger der diktatorisch erzogenen vormaligen DDR-Bürger nach materieller Befriedigung und Weltoffenheit erzeugte Überschwemmung mit Konsum von West nach Ost und nach anfänglicher Euphorie im Osten zunehmend Angst und Argwohn vor der Welt da draußen. Der Wunsch, die Sehnsucht nach dem da draußen hatte plötzlich die Biografien aus den Angeln gehoben, die bis dahin gelebte Erfahrung entkoppelt und entgleisen lassen und überzog und vernichtete jeden authentischen Geruch mit verführerischem Zucker. Ein Film, ein Leim, ein Volk, eine Mark. Ein Großmarkt.
Dem Erwachen aus der Narkose, in der DDR mit ihrem Wahn von der Erziehbarkeit des NEUEN MENSCHEN ein Leben lang einer Fälschung und einem Betrug aufgesessen zu sein, folgte bei vielen bald die Erkenntnis: Der Ostmensch DDR besitzt zweierlei Wert: erstens: man kann ihm Beliebiges aus dem Westen andrehen. Er hat es ja selbst so gewollt. Zweitens: Seine Sprache wird als witziges, möglichst sächsisches Idiom wahrgenommen, ansonsten in der Eigenart völlig ignoriert und damit auch die Befindlichkeit der Sprecher. Im Westen merkte und merkt man davon fast nichts. Im Osten sehr wohl und die Verunsicherung, sich nicht angemessen verständlich machen zu können und wieder permanent vor Wände zu rennen, folgte die Schweigespirale. Dieses Schweigen mit Einvernehmen gleichzusetzen, ist ein weiteres folgenreiches Missverständnis.
Die Generation der heutigen im Osten aufgewachsenen (Kunst-)Studenten ist natürlich nicht mehr von der Macht des sozialistischen Systems geprägt. Aber sie ist geprägt von ihren Eltern und Erziehern. Und diese sind mehrheitlich in der Wolle gefärbte DDR-Bürger. Mit allen Verkrochenheiten und Lebensweisheiten auf Rhabarberbasis. Man muss nicht in einem Altersheim aufgewachsen sein, um sich auszumalen, welchen Einfluss das auf den Nachwuchs hatte und hat.
Statt aber hier genau hinzusehen und biografische Besonderheiten zu beleuchten und daraus künstlerische Qualitäten zu entwickeln, die den Diskurs mit der feinen Sensibilität der Außenseiter und Abgehängten bereichern können, werden Programme aufgelegt, die die Künstler in folgenlosem symbolpolitischen Aktionismus beschäftigen. Das ist alles kritisch, sozial, global aufrüttelnd und soll schon dadurch von besonderem Wert sein, daß Künstler daran beteiligt sind. Eines ist es aber vor allem: ganz weit weg von gelebter Wirklichkeit, ganz weit weg von handfesten künstlerisch individuellen Strategien, die nicht am Reißbrett entworfen sind. „Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie WAHR ist“
Daß Kunst eine politische, gesellschaftliche Relevanz hat, ist unbestritten.
Daß diese sich über direkte und restlose Lesbarkeit und Übersetzbarkeit in politische Glaubensbekenntnisse herstellt, ist eine ähnlich absurde Vorstellung wie die, daß für die Herstellung von Kunst schon die gute Absicht genüge.
Abgesehen von der denkfaulen Vermittelmäßigung, die mit so einem Prozess einhergeht, ist besonders bemerkenswert das MISSTRAUEN derjenigen Kunst gegenüber, die zu allererst Kunst sein will und keine Belehrung oder Anleitung zum besseren Menschsein. Das heißt, man traut dem eigenen Medium keine Wirksamkeit zu, wenn dahinter nicht noch eine Moral und Absicht steckt.
Darin liegt ein großer UNTERSCHIED zur alten DDR Kulturpolitik:
In der DDR bestand das größte Misstrauen nämlich gegenüber genau den Formen der Kunst, die Kunst sein wollten und eben keine Illustration von Weltanschauungsprogrammen.
In der DDR hegte man keinerlei Zweifel an der Gefährlichkeit und Wirksamkeit von Kunst, die nicht einzuordnen war, die frei flottierte mit Codes, die selbst untereinander nicht immer verstanden wurden…
Darum ging es auch nicht.
Kunst ist zunächst nichts anderes als pure Energie. Es ist Freiheit. Es ist Grenzüberschreitung.
Und damit natürlich höchst brisant, flüchtig, fragil und schützenswert.
Vor jeder Art von Missbrauch. Und das Missbrauchspotential ist hoch.
Als vorletztes: eine Vermutung…
LUXUS
Die Westdeutschen, zuvorderst Linken Intellektuellen, bis auf wenige Ausnahmen, nehmen es den DDR-Bürgern bis heute unterbewußt übel, daß sie ihnen die Utopie eines „besseren“ deutschen Staates auf deutschem Boden geraubt haben. Mit dem Niedertrampeln der Mauer (als Folge des real existierenden wirtschaftlichen Kollaps) verschwand einerseits eine wesentliche Projektionsfläche und andererseits eine historische Schutthalde, auf der man sowohl ideologische Forderungen wie auch die eigene Unzulänglichkeit bei deren Umsetzung zwischenlagern konnte. Sichtbar wurde nun ein für westliche Vorstellungen hässliches Zerrbild alles dessen, worüber man wohlfeil hatte ausgiebig und konsequenzlos diskutieren können. Mein Eindruck ist, die Abwertung, auch und insbesondere der unangepassten Kunst, die in der DDR produziert wurde, die Einordnung als rein historisches Phänomen, rührt genau aus dieser Beleidigung einer sowohl gut eingerichteten als auch angenehm folgenfrei operierenden westdeutschen Protestkultur.
Es herrscht bis heute eine tief verkapselt inkorporierte Eingeschnapptheit über die profan enthauptete Utopie.
Daß künstlerisch nicht nur Unübertreffliches in der DDR produziert wurde…
Weder im staatstragenden Ölschinken, noch in der störrischen Steinmeißelei oder Dunkelkammer… ist zweifelsfrei.
Aber wer mal in einem Depot eines ordentlichen westdeutschen Museums war, weiß, daß es auch dort vieles gibt, das man lieber nicht an die Öffentlichkeit bringt…
Auch insofern denke ich, ist es Zeit neue Vergleiche anzustellen – jenseits der schablonenhaft vorgetragenen Ignoranz, alles was mit der DDR zutun habe, sei Schnee von gestern…
Mich jedenfalls erinnert der immer wieder so oder ähnlich geäußerte Spruch: „Die DDR spielt doch keine Rolle MEHR“ einerseits pikant an die westdeutsche Diskussion in den 60/70/80er Jahren in Bezug auf die Nazidiktatur, auf die aus dem rechten Lager reagiert wurde mit dem Spruch: „Irgendwann MUSS doch mal Schluss sein!“
Und zweitens dient die Leugnung einer spezifischen Eigentümlichkeit ostdeutscher Prägung der schamfreien Reaktivierung zahlreicher DDR-Methoden und Phänomene, die ich nicht nur, aber eben auch im künstlerisch/akademischen Bereich äußerst irritiert wahrnehme.
Ob Bürokratisierung, Zentralisierung und Formalisierung, ob credit point und ideologisch überformte Sprache, die Normierung des Nicht-Normierbaren und Kunst als Mittel der Agitation… die Phänomene sind vielgestaltig und deren Macht wächst, daß mir klamm wird ums Herz und um die Kunst.
Zu guter Letzt…
Das ÄTHERMUSEUM!
Das Äthermuseum wurde 1990 gegründet.
Das Äthermuseum ist ein Ort für Ankäufe (meist eher Schenkungen) zerstörter, zerschundener, verlorener Werke. Im Gedenken an die Idee, an die künstlerische Substanz, an das verschwundene Werk, kann eine Aufnahme in die Sammlung nur auf exklusive Einladung hin erfolgen.
Ich fürchte, die Sammlungsleitung wird sich nicht erwärmen können, wenn dereinst die Ergebnisse aller OPEN CALLS, Podiumsdiskussionen und des NEU DENKENs mit ihren pastellfarbenen mit Edding beschrifteten Pappkringeln aus dem Moderationskoffer an die Tür klopfen…
Aber:
FLU
oder
Die Menge aller Mengen und der Regimentsbarbier.*
Die Triefnasen, die naseweisen Schnüffelnasen und den klebrigen Schnodder der Geschichte – Dekret, Sekret und Generalsekretär. So schnell wird man, fürchte ich, den Fluch sowieso nicht los…
Ich widme diesen Vortrag meinem Lehrer Günther Hornig, der am Sonntag, dem 11.09.2016 im Alter von 79 Jahren in Dresden verstorben ist.
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.
* Gilles Deleuze, Die Logik des Sinns, 1993
© else (Twin) Gabriel
Berlin und Deutsche Bahn, September 2016