Aufräumen… Mending Wall

für Aron Rauschhardt anlässlich seiner Ausstellung als Stipendiat der HAP Grieshaber Stiftung in der Städtischen Galerie Reutlingen, 10.03. – 10.06.2018

„Es gibt etwas, das mag die Mauern nicht,
das schickt den Frost darunter, daß der Boden
schwillt,
und streut die Steine oben weit umher;
und es reißt Lücken, breit genug für zwei.“

So beginnt Robert Frost 1914 sein Gedicht „Mending Wall“, „Mauerflicken“ in der deutschen Übersetzung von Dieter E. Zimmer.

Es geht um zwei Nachbarn, deren weitläufige Grundstücke durch eine Mauer voneinander getrennt sind. Der eine ruft den andern auf, die Mauer zu reparieren, der andere zweifelt die Sinnhaftigkeit der Unternehmung deutlich an, denn, weil gut befreundet, seien Mauern zwischen ihnen unerheblich und eigentlich verzichtbar. Der andere jedoch besteht darauf.

Eigentlich suchte ich aufgrund dessen, was Aron in Reutlingen gedächte zu präsentieren nach einer Geschichte, die ich vage in Erinnerung hatte, nach der ein Extremsportler oder Stuntman, der zahllose abenteuerliche Unfälle und waghalsige Unternehmungen schadlos überstand, dann aber final im Streit mit seinem Nachbarn um den Gartenschlauch zu Tode kam.
Vergeblich.

Über Googeleien, die mich zum Thema Nachbarn von Hundebissattacken, Pfeffersprayeinsätzen gegen Kindergeburtsgsgäste, Axteinsätze wegen wuchernder Johannisbeersträucher, den unvermeidlichen „Maschendrahtzaun“ in Zwickau 1999 und den Angriff auf den US amerikanischen Senator Rand Paul beim Rasenmähen 2017 mäandern ließen, landete ich bei Robert Frost und seinem Gedicht Mending wall.

„Dem Nachbarn hinterm Hügel geb ich Nachricht;
wir treffen uns, die Grenze abzuschreiten,
und richten zwischen uns die Mauer wieder auf.“

Es ist der womöglich heute angesichts von Mauerplänen zwischen den USA und Mexiko politisch unkorrekteste Text, den man zitieren kann, vielleicht aber auch der durch seine Kernzeile „Gute Zäune – gute Nachbarn“ dann wieder völlig anders zu Deutende im Sinne von „eine Armlänge Abstand“?

Mauern.
Aufräumen.

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Aron Rauschhardt aus Zwickau, Steinmetz, Jungspund, Weißensee Kunsthochschulüberlebender, KUNSTHALLE am Hamburger Platz Urgestein, Absolvent und Meisterschüler von Thaddäus Hüppi, HAP Grieshaber Stipendiat in Reutlingen 2017/18.

„Ein Ding für sich ist, was die Jäger treiben:
Ich kam nach ihnen, und ich reparierte,
wo keinen Stein sie auf dem andern ließen;
sie wollten unbedingt, zur Freude ihrer Meute,
dem Hasen ans Versteck. Die Lücken mein ich,
deren Entstehen niemand sah noch hörte –
im Frühjahr aber findet man sie da.“

So.
Was finden wir da.
Im Gewölbe zeigt uns Aron das Befremden, das aus der Nähe entsteht. Er ist spazieren gegangen in Reutlingen. Mit der Kamera als Freundin, als Verbündete.
Und er fand Laub.
Und lichtete ab: Laub.

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Zwischen Bux und Beton – Gras und trödelndes gefallenes Blattwerk.
Aron zeigt keine Menschen, aber gerade dadurch Porträts. Er zeigt das nach außen gekehrte Innere der Bewohner, der Inhaber. Er zeigt Besitz, Abgrenzung und Stolz. Er zeigt heckegewordenes Ich und baumarktgenormte Selbstbeschreibung. Mit vibrierender Zurückhaltung und unbestechlichem Blick fängt er sein Ausgeliefertsein an die zelebrierte Maßhaltung ein in Bildern. Er erlegt sich selbst Ruhe auf angesichs der Normalität, die er nicht teilen kann, die er nicht teilen will, die er anerkennen möchte und in ihrer rührenden Verzweiflung und Aussichtslosigkeit abbilden.
Pflanzen, schneiden, Ordnung schaffen, harken, sammeln…
und von vorn…
Spanische Wand.

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Der Raumteiler müsste für ihn als klassischer Bildhauer ein Unding sein, eine Krücke, eine schreiende Ungerechtigkeit in der untersten Schublade künstlerischer Formalitäten. Es kann nicht anders sein. Hastig herbeigeräumt, wenn etwas zu verbergen ist.
Dahinter ziehen sich die Huren aus.
Die Spanische Wand ist wie der Rundbogen aus Grobgartenbetonelementen etwas wie Cesars Palace, Las Vegas im Vergleich zu Rom…
die vollständige Verwahrlosung und Auszehrung von Werten, von denen wir heute nicht wissen können, ob sie so überhaupt bestanden.

Das ist der Kern.
Aron, der in der Kunsthalle am Hamburger Platz verzweifelte darüber, wenn eine Arbeit anderer Künstler schief an die Wand gedroschen war oder nach seinem unerbittlich genauen Augenmaß zwei Zentimeter weiter links oder rechts hätte hängen müssen…
macht in dieser Ausstellung die Spanne auf, zwischen der unerträglichen Allgegenwart von Normalität und dem Eingeständnis, daß dies die Lebenswirklichkeit ist, die zu zeigen ist und der man Schönheit abgewinnen kann. Ein Frieden, der schon am Gartenzaun zerbröselt und erbittert scheitern kann.

„wir treffen uns, die Grenze abzuschreiten,

und richten zwischen uns die Mauer wieder auf.
Im Gehen bleibt die Mauer zwischen uns.
Ein jeder nimmt, was ihm an Steinen zufiel.
Die einen sind wie Brote, andre fast wie Bälle,
wir müssen sie beschwören, daß sie stehn:
„Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren!“
Sie anzupacken macht die Hände wund.“

Aron Rauschhardt ist 1984 in Zwickau geboren, ab 1987 in Bautzen aufgewachsen, hat zunächst in Dresden 3 Jahre Steinmetz gelernt, 2005/06 in Südtirol am Fuße des Ortlermassivs eine Steinildhauerausbildung absolviert und dann mit einem Stipendium in Aschaffenburg seinen Meister gemacht. Ab 2008 studierte er in Weißensee an der Kunsthochschule Bildhauerei. Weißensee kann ein Ort sein für große Freiheit für die, die sie zu nutzen wissen. Aron war in einer Zeit dort, als die KUNSTHALLE am Hamburger Platz unter Leitung von Thaddäus Hüppi gegründet wurde und aufblühte als Schnittstelle zwischen Hochschule und Kunstwelt „draußen“. Der Aufbruch in eine Form erweiterter Künstlerausbildung unter den Realbedingungen von Ausstellungen und Liveformaten ist Legende. Und Aron war ganz wesentlicher Teil dieser vorher nirgendwo erprobten Form von Kunstvermittlung und -befragung. Aron als fundierter und genauer Handwerker, hoch sensibler Beobachter und Künstler mit hintergründigem Witz fräste sich mit stiller Unerschrockenheit durch diese irrwitzige Aufbruchstimmung und bearbeitete Steine bis an ihre Grenzen – vom volumigen 700kg Faltenwurf bis hin zu einer filigranen Mücke… und das Herz… alles aus Veroneser Marmor…

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Er fand in Thaddäus Hüppi einen Mentor, der zwischen übergeschnappter Spielwut, brillanter Witterung für menschliche Schwebungen und handwerklicher Präzision seine Arbeiten begleiten konnte, ohne professoral zu belehren. Hier fanden sich Ladungen, wie sie im universitären Sektor selten sind. Thaddäus trieb „seine Leute“ zu künstlerischer Höchstleistung. Ich könnte überdies Aufregungen schildern, wie die, als Aron mich nach meinem dramatischen Autounfall ins tiefste Lothringen fuhr 2013, wo ich eine Einzelausstellung in einer 3500qm großen ehemaligen Glasbläserei aufbauen sollte und wir mit Amuse Gueule willkommen geheißen wurden nach 13 Stunden Fahrt mit Zwischenfällen…

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Wild war dies. Und andere Geschichten ebenso.
Aron arbeitete parallel zum Stein mit Fotografie, mit fotografischen Bearbeitungen eigentlich simpler Motive, Pflanzen, Schnappschüsse… beiläufig, aber von feinster analoger Intelligenz für schwirrende Bilder und komparatistische Genauigkeit.
Legende aber auch Arons Meisterschülerarbeit im Februar 2016, als die KUNSTHALLE von der Hochschulleitung in dieser Form schon nicht mehr gewollt war…
Eine Kegelbahn, bei der Besucher die Kugel über eine staubige Bahn auf beim Auftreffen zerspringende Gipskegel lenkten. Eine katastrophische Familienaufstellung diese Kegel, unter Gejohl dem Untergang geweiht. Die rundgedrehten Totenschädel im Märchen „Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“ kamen mir in den Sinn. „Ach, wenn’s mir nur gruselte…“
Es gruselt auch in Arons Arbeiten.

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„Das ist so eine Art Geländespiel,
beidseits. Auf wenig mehr läuft es hinaus;
denn wo sie steht, ist keine Mauer nötig:
Er hat nur Fichten und ich Apfelbäume.
Mein Obst würde schon nicht hinüberlaufen,
sag ich, und ihm die Fichtenzapfen fressen.
Er sagt nur: „Gute Zäune – gute Nachbarn“

Was Aron hier aufbaut ist gezügelter Zorn.
Zwischen Baumarktnorm und dem feinen Zerfall von Blattwerk, zwischen Zeigen und Verbergen hinter und vor der spanischen Wand ist er sich bewußt, daß er Teil ist der Zerbrechlichkeit gesellschaftlicher Verabredungen und das tut weh. Was weh tut ist lebendig.

„Der Frühling macht mich boshaft – ob ich ihm
nicht einmal was begreiflich machen könnte?
„Wieso denn ‚Gute Zäune – gute Nachbarn
Gilt das nicht nur, wo Kühe sind? Doch hier?
Bevor ich eine Mauer baue, will ich wissen,
was sie umschließen oder schützen soll
und wer wohl Anstoß nähme, wenn sie fehlte.“

Die Erde bebt. Vor allem im gefühlt Normalen. Die Frage steht, warum erhalten wir dieses Normale so aufrecht? Und genau hier steht jemand wie Aron Rauschhardt mit Fotos auf spanischer Wand, mit Rundbogen aus Fertigteilen, mit Mauern im Gemäuer und seiner grundgenauen Verzweiflung und künstlerischen Ansprache und zeigt:
es gibt etwas, das kann nur Kunst und Poesie…

„Es gibt etwas, das mag die Mauern nicht,
das reißt sie ein.“ Ich könnte „Elfen“ sagen,
doch sind es eigentlich nicht Elfen, und ich wollte,
er käme selber drauf. Ich seh ihn schleppen,
mit jeder Hand packt er sich einen Stein:
bewaffnet wie ein Wilder aus der Steinzeit.
Es kommt mir vor, als tappe er im Dunkel,

nicht nur in dem der Wälder und der Bäume.
Er wünscht am Spruch des Vaters nicht zu rütteln,
und daß er ihn so gut behielt, das freut ihn;
noch einmal sagt er: „Gute Zäune – gute Nach-
barn.“

Aron Rauschhardts Arbeiten sind immer doppeldeutig. Alles erscheint so einfach, so naheliegend und brutal. Das ist es auch. Es ist jedoch auch immer alles anders und plötzlich schön.

© else (Twin) Gabriel, 2018

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Aufstellung des „Faltenwurfs“ in der Ausstellung „Haut Niveau“, 2015, KUNSTHALLE am Hamburger Platz, Personen von links nach rechts: Aron Rauschhardt, Benjamin Althammer, Prof. Thaddäus Hüppi, Bikash Chatterjeh, Nils Vogt

© Fotos: 1(Beitragsbild), 2, 4, 5 Aron Rauschhardt, 3, 6, 7, 8 else Gabriel

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